„Ich bin mehr als das, was ich betrachte. Erst in meiner Präsenz wird das Kunstwerk zum Leben erweckt, erhält Bedeutung, einen Hauch von Relevanz.“
So denken und handeln Millionen von Seelen, die sich durch das Gewebe von Urlauben und Tagen bewegen. Sie erheben sich über das Kunstwerk, das vor ihnen existiert, als wäre der bloße Akt des Stehens und Abbildens der wahre Mittelpunkt des Moments. Es ist der Drang, der das Sein selbst vergoldet. Die Schöpfung ist zweitrangig, der Blick des Betrachters steht im Zentrum.
Ich kann den Wunsch verstehen, sich für die Ewigkeit festzuhalten, in einem Augenblick der Erinnerung, in einer Geste, die dem Gedächtnis dienen soll. Doch wie werden Erinnerungen verfälscht, wenn der Reflex, der die Hand zum Smartphone hebt, sich täglich wiederholt? Wie wird der Atem des Augenblicks gestört, wenn der Blick nur noch auf den eigenen Schatten gerichtet ist?
In den letzten Tagen wandelte ich durch die ehrwürdigen Hallen von Bangkoks Tempeln und dem Königspalast – Orte, in denen die Zeit sich in vergoldeten Wänden und heiligen Mosaiken verflüchtigt. Doch die wahre Schande war nicht die beeindruckende Stille dieser Stätten, sondern das Rauschen der Massen, deren einzige Sorge der perfekte Winkel für ihr Selbstbild war. Der heilige Raum verwehrt sich seiner Bedeutung, während der Mensch mit selbstverliebtem Eifer den Moment für sich beansprucht.
Die Fotografien, die in diesen heiligen Hallen entstanden, sind ein trauriges Spiegelbild der Entfremdung: Ein Kampf um die besten Plätze, als wäre das Erleben der Geschichte ein Privileg des Selbst. Häufig blockieren die Selfie-Schützen den Fluss der Zeit, indem sie Minuten damit verbringen, Kleider, Hüte und Accessoires zu inszenieren – all dies für eine Vielzahl von Spiegelungen des eigenen Ichs vor den Wahrzeichen vergangener Epochen. Der Pfad der Menschheit ist verwehrt, die Schönheit der Architektur verschwindet in einer Flut von Pixeln und leeren Gesten.
Was für ein Armutszeugnis, wenn der Wert eines Kunstwerks nur durch das Maß der Präsenz des Selfie-Machers gemessen wird. Wer glaubt, dass die Welt in einem endlosen Strom von Selbstporträts auf den Knien der Geschichte verweilen muss, irrt sich gewaltig. Die Kamera, die durch den Moment tanzt, fängt nicht den Atem der Kunst ein, sondern den Sog des Selbst, das sich um sich selbst dreht.
Wer seinen Alltag dem Verlangen nach visueller Bestätigung widmet, ist ein Schatten seiner selbst, dessen Drang, etwas zu sagen, nur durch das flimmernde Licht des Displays gestillt wird. Doch was bleibt, wenn das Bild verweht und die Bedeutung des Moments verblasst?
Möge dieser kleine Aufruf dazu dienen, in der Stille der Kunst und in der Pracht der Geschichte zu verweilen und zu fragen: Braucht die Welt wirklich ein weiteres Abbild von dir – oder genügt es, zu erleben, was du wahrhaftig siehst?
Mit nachdenklichen Grüßen, Benny aus Bangkok