In Afrika muss man flexibel und offen für alle Arten von Alternativen sein.
In vielen afrikanischen Ländern ist das Reisen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ein Abenteuer für sich. Nichts ist so, wie wir es aus Europa kennen. Am besten ist es, man hat keine besonderen Erwartungen und macht keine großen Pläne, da diese so gut wie nie funktionieren. Auch Wegbeschreibungen sind mit Vorsicht zu genießen. Ich habe Landkarten gehabt, deren Abbildungen von Straßen und Ortschaften nichts mit der Realität gemein hatten. Selbst amtliche Schilder am Straßenrand können völlig falsche Informationen vermitteln. Auf solche Fälle muss man sich einstellen und gegebenenfalls muss man improvisieren.
Reisen mit einem öffentlichen Bus
Als ich auf einer meiner frühen Reisen in Uganda unterwegs war, fand ich mich in einem mindestens vierzig Jahre alten Bus wieder, um von Kampala zum Lake-Mburo-Nationalpark zu fahren. Außer mir warteten noch fünf weitere Personen im Bus, bis sämtliche Sitzplätze belegt waren. Während sich sowohl die Zahl der Mitfahrer als auch die Menge an ungewöhnlichen Gepäckstücken immer weiter erhöhte, kamen in kurzen Abständen fliegende Händler in den Bus, um ihre Waren zum Kauf anzubieten. Einer verkaufte Plastikkämme, der nächste Socken und ein anderer Trockenfleisch. Einer von ihnen hatte sich einen Holzkasten um den Hals gehängt und darin befand sich so ziemlich alles, was man in einem Tante-Emma-Laden hätte kaufen können – von jedem Artikel gab es allerdings nur ein Exemplar.
Der Apotheker und seine Super-Pillen
Am interessantesten war jedoch der Apotheker: Er kam in den Bus, kramte ein großes Poster aus seiner Tasche, das Organe und Blutgefäße irgendeines Lebewesens zeigte, und begann zu erzählen, welch schlimme Krankheiten der Mensch und seine Haustiere bekommen konnten. Er war ein geborener Showman! Nachdem er den Businsassen ordentlich Angst gemacht hatte, holte er eine Zauberpille aus seiner Tasche und verkündete ein gesundes Leben für jeden – Tiere eingeschlossen-, der diese Tabletten schlucken würde. Die Superpille sollte angeblich alle Krankheiten heilen. Seine Strategie war überzeugend und er verkaufte tatsächlich viele der einzeln verpackten Pillen an meine Mitfahrer. Ich vermute, es handelte sich um Aspirin oder ähnliche Tabletten.
Einer geht noch, einer geht noch rein
Als der Superapotheker seine Rede beendet hatte, war unser Bus so hoffnungslos überfüllt, dass ich mich ernsthaft fragte, wie wir so die Reise antreten sollten. Alle Sitzplätze waren längst belegt und im Mittelgang wurden Kisten und Säcke aufeinandergestapelt und ebenfalls als Sitzplätze genutzt. Schließlich kamen sogar einige Schweine und Hühner an Bord. Auf dem Dach des Busses waren ebenfalls tonnenweise Gegenstände aufeinandergestapelt.
Eine nette Mitfahrerin und ihr süßes Baby
Auf den Platz neben mich setzte sich eine besonders korpulente afrikanische Frau. Sie war sehr freundlich und nachdem sie mich begrüßt hatte, drückte sie mir ihr kleines Baby in die Hände, drehte sich weg und fing an, sich in aller Ruhe mit einer anderen Dame zu unterhalten.
Es war für sie völlig normal, dass ich mich um ihr Baby kümmerte. Ich war positiv überrascht, wusste jedoch nicht, wie ich damit umgehen sollte. Das Baby war äußerst süß und verspielt. Es zog an meinen damals noch langen Haaren und an meiner Nase und lachte dabei verzaubernd. Für mich war das eine willkommene Abwechslung.
Wir fuhren etwa eine Stunde, bis einer der Reifen dem Gewicht des überladenen Busses nicht mehr standhielt und explodierte. Mit unserem » Übergewicht« konnte natürlich kein Reifenwechsel stattfinden, deswegen musste alles wieder raus aus dem Bus und wir mussten eine Zeit lang am Straßenrand warten, bis die Fahrt schließlich weiterging. Nach einer Weile hielt der Busfahrer an und sagte zu mir, dass ich nun aussteigen könne. »Da drüben ist der Weg zum Nationalpark«, meinte er. Ich bedankte und verabschiedete mich von dem Busfahrer, von der freundlichen Mitfahrerin und von dem süßen Baby.
Ein langer Marsch mit einem schweren Rucksack
Meinen über dreißig Kilogramm schweren Rucksack geschultert, marschierte ich in Richtung Lake Mburo. Nach etwa hundert Metern sah ich erst das unscheinbare kleine Schild »Lake Mburo sechzehn Kilometer«! Der Bus war längst weg und weit und breit war kein Mensch zu sehen. Obwohl es über dreißig Grad heiß war, blieb mir nichts anderes übrig, als loszulaufen.
Der Weg war alles andere als langweilig. Ich kam durch ein Dorf, das ganz anders aussah als die Ansiedlungen, die ich zuvor gesehen hatte. Aus der Feme hatte ich überhaupt nicht vermutet, dass es sich dabei um menschliche Behausungen handeln könnte. Sie sahen aus wie die großen Heuballen, die bei uns nach der Ernte auf den Feldern der Bauern zu sehen sind. Bei näherem Betrachten fand ich heraus, dass die Bewohner der Hütten das Gerüst ihrer Unterkünfte aus Ästen zusammengeschnürt und alles mit Gräsern bedeckt hatten. Nur ein kleines Loch war frei gelassen worden, durch das man kriechend hineingelangte. Die Dächer der Hütten waren kaum höher als einen Meter und somit konnte man darin nur sitzen oder schlafen.
Erschöpft erreichte ich den Eingang des Parks und ich musst noch weiterlaufen
Nach einigen harten Marschstunden erreichte ich endlich das Tor des Nationalparks. Neben dem Tor war eine kleine Hütte, die eine Art Rezeption darstellen sollte. Die Tür war offen, aber es befand sich niemand darin. Da ich nicht wusste, wie es weitergehen sollte, wartete ich an dieser Hütte, bis nach etwa einer Stunde zwei Ranger vorbeikamen. Sie waren sehr erstaunt, dass ich zu Fuß unterwegs war – normalerweise kamen Touristen mit ihren Fahrzeugen in den Park. Bisher hatten sie noch niemanden getroffen, der zu Fuß gehen wollte. Trotzdem erlaubten sie es mir.
Ich fragte nach dem Campingplatz des Reservats und sie antworteten, dass er etwa neun Kilometer entfernt sei. Als ich das hörte, kamen mir schon fast die Tränen. Eigentlich hatte ich keine Kraft mehr für den Rest des Weges, doch ich musste den Campingplatz noch vor Einbruch der Nacht erreichen. Die Ranger, die leider auch kein Auto besaßen, erklärten mir den Weg durch den Busch.
Wenn Du Büffel oder Flusspferde siehst, musst Du sofort auf einen Baum klettern!
Ich fragte: »Wie sieht es aus mit gefährlichen Tieren?« Sie meinten, für die Raubkatzen sei es jetzt zu heiß, um auf die Jagd zu gehen, also ginge von ihnen keine Gefahr aus. Vor den Büffeln und vor den Flusspferden am Wasserrand sollte ich mich jedoch in Acht nehmen. Die Wildhüter warnten mich: Wenn mir diese Tiere doch über den Weg liefen, sollte ich den Rucksack sofort fallen lassen und auf einen Baum klettern. Außerdem sollte ich auf keinen Fall den Weg verlassen.
Erschöpft und niedergeschlagen dachte ich: »Na toll, das kann ja wieder spannend werden.«
Go Benny Go!
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, holte tief Luft und spazierte los. Damals war ich noch sehr unerfahren und hatte auch noch keine Ranger-Ausbildung hinter mir. Dementsprechend war ich verängstigt und verunsichert. Nach einigen Minuten kreuzten Impalas meinen Weg, wenig später eine Warzenschweinfamilie und kurz danach eine Gruppe von grünen Meerkatzen.
Immer wieder Schreckmomente
Während ich weiterging und mit voller Aufmerksamkeit die Gegend nach Gefahren absuchte, bewegte sich plötzlich das hohe Gras neben dem Weg und es raschelte laut. Mir stockte der Atem: Irgendetwas bewegte sich direkt in meine Richtung. Ich ließ den Rucksack fallen und ging in die Verteidigungsposition, da mir nichts anderes einfiel. Plötzlich schossen einige Perlhühner aus dem Gras, flogen hoch und landeten in zwanzig Meter Entfernung wieder. Was mir in diesem Moment durch den Kopf ging, weiß ich nicht mehr, doch ich war sicher kreidebleich.
Dieses Spiel wiederholte sich noch ein paar Mal. Erst huschte ein Hase durchs Gras, dann eine Antilope. Jedes Mal erschreckte ich mich fast zu Tode. Ich sah nur, wie die Pflanzen sich hin und her bewegten, und wusste, dass sich dort ein Tier befand. Was für ein Tier und wie groß es war, konnte ich nicht erkennen.
Keine Bäume als Zuflucht-Platz
Nachdem ich mich etwa zwei Kilometer von dem Tor entfernt hatte, stellte ich fest, dass es auf der Strecke überhaupt keine Bäume gab, auf die ich flüchten konnte, falls mich Büffel oder Flusspferde attackieren würden. Außer dem hohen Gras gab es nur noch riesige Kakteen mit langen Stacheln, die sich zum Hochklettern überhaupt nicht eigneten. Ohne Hoffnung auf irgendeine Fluchtmöglichkeit lief ich weiter in Richtung Campingplatz.
Auge in Auge mit Büffeln
Nachdem ich bereits mehr als die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, ging der Weg auf einmal relativ stark bergab. Ich lief den Hang hinunter und folgte einer Kurve, als ich plötzlich Auge in Auge mit einem männlichen Büffel stand. Mein Albtraum wurde wahr! Ich schaute mich um und sah sieben weitere Bullen, die am Wegesrand grasten. Die Distanz zwischen uns betrug maximal zwanzig Meter. Sie hätten mich in Sekundenschnelle erreichen und töten können.
Dieses Horrorszenario jagte mir mehr als einen gehörigen Schreck ein – ich stand einem der unberechenbarsten und gefährlichsten Tiere Afrikas gegenüber. Es war für mich das erste Mal überhaupt, eine Büffelherde in der Wildnis zu sehen. Bis dahin kannte ich die Büffel nur aus Dokumentarfilmen. Ich wusste, dass sie zu den mächtigsten und gefährlichsten Tieren gehören und dass sie äußerst aggressiv und brutal sein können. Sogar Löwen zeigen gegenüber einem gesunden Büffel großen Respekt.
Die Angst vor einer Büffelattacke
Ich stand wie versteinert auf dem Weg und während die Angst mich fast lähmte, versuchte ich einen klaren Kopf zu bekommen und logisch zu denken. Aus diversen Büchern über das Verhalten der Tiere wusste ich, dass ich keine schnellen Bewegungen machen durfte. Die Büffel starrten mich an und ich spürte, dass ihnen diese Situation genauso ungelegen kam wie mir. Für einen Augenblick schien die Zeit stehen zu bleiben. Es verlieh mir ein unbeschreibliches Gefühl der Schwäche und Hilflosigkeit, einem achthundert Kilogramm schweren Muskelpaket mit zwei mächtigen und spitzen Hörnern gegenüberzustehen, ohne Waffe zur Verteidigung oder Fluchtmöglichkeiten. Ich entschloss mich, den »Rückwärtsgang« einzulegen, und ging sehr, sehr langsam zurück. Angstschweiß floss mein Gesicht hinab und ich zitterte am ganzen Körper. Mein Herz klopfte so laut, dass man es vermutlich aus weiter Feme hören konnte.
Entweder ergreifen sie die Flucht oder sie kommen, um Dich zu töten
Büffel verhalten sich von Natur aus eher scheu. Doch wenn sie einem Menschen begegnen, gibt es meist nur zwei Alternativen: Entweder ergreifen sie die Flucht oder sie greifen an. Ich war gespannt, wie diese Tiere reagieren würden. Sie wurden immer unruhiger und ich spürte, dass sie nicht wussten, wie sie sich entscheiden sollten. Angriff oder Rückzug? Mit jeder Bewegung dachte ich, dass sie mich nun attackieren würden. Für diesen Fall wollte ich meinen Rucksack opfern und ihnen vor die Füße werfen, in der Hoffnung, dass sie auf ihn losgehen und mich verschonen würden.
Inzwischen hatte ich mich immerhin einige Meter von ihnen entfernt und hatte das Gefühl, dass die Tiere sich etwas beruhigt hatten.
Je später die Stunde, umso gefährlicher die Wildnis
In der Nähe sah ich einen großen Kaktus. Ich setzte meinen Rucksack ab und versteckte mich dahinter. Mein Problem war damit allerdings noch nicht gelöst, denn ich musste vor Anbruch der Dunkelheit den Campingplatz erreichen. Doch der Weg wurde von der Büffelherde blockiert und das Gras neben dem Weg war so hoch, dass ich nicht sehen konnte, ob sich noch weitere Büffel in der Umgebung aufhielten. Mir blieb nichts anderes übrig, als hinter dem Kaktus sitzen zu bleiben und abzuwarten. Die Büffel waren mit Grasen beschäftigt und blieben am Wegesrand stehen. Ab und zu schauten sie in meine Richtung und schüttelten ihren kräftigen Kopf, so als ob sie mir damit sagen wollten: »Bleib da, wo du bist!«
Zwei Ranger und die Büffelherde
Nach etwa einer Stunde hörte ich menschliche Stimmen und dachte: »Gott sei Dank, jetzt kommt die Rettung.« Es kam jedoch anders, als ich dachte. Zwei Parkangestellte auf Fahrrädern kamen den Weg entlang und fuhren direkt auf die Kurve, hinter der sich die Büffelherde befand, zu. Als ich sie sah, lief ich sofort zu ihnen, um sie auf die Gefahr aufmerksam zu machen. Sie stoppten und wir verbargen uns zusammen hinter dem Kaktus. Nun saßen wir zu dritt fest.
Wir hielten es noch etwa eine weitere halbe Stunde aus, bis uns klar wurde, dass die Büffel noch lange nicht vorhatten, den Weg zu räumen. Die beiden Radfahrer wollten ebenfalls zum Campingplatz. Sie schlugen vor, durch das hohe Gras einen großen Bogen um die Büffel zu machen und einige Hundert Meter hinter ihnen wieder auf den Hauptweg zu stoßen. Dies war allerdings einfacher gesagt als getan.
Der äußerst beschwerliche Marsch durch den Sumpf
Wir hatten einige Probleme, uns durch das Dickicht zu schlagen: die beiden mit ihren Fahrrädern und ich mit meinem schweren Rucksack. An einigen Stellen kamen wir gut voran, an anderen jedoch ragte das Gras sogar über unsere Köpfe hinaus, sodass wir uns nur sehr schwer orientieren konnten. Außerdem war der Boden matschig, bisweilen sogar sumpfig und an manchen Stellen gar nicht zu Fuß passierbar. Außerdem hätten wir jederzeit auf eine Puffotter treten können, was in dieser Wildnis sicherlich tödlich geendet hätte. Diese Otter ist eine der gefährlichsten Schlangen Afrikas, die nicht wegkriecht, wenn Menschen sich nähern.
Unzählige Insekten, darunter viele Moskitos, begleiteten unsere Wanderung mit unendlich vielen Stichen. Wenn man im hohen Gras durch ein sumpfiges Gebiet wandert, lässt sich das leider nicht vermeiden. Nach einer kräftezehrenden Wanderung durch Grasland und Sumpflandschaft fanden wir uns nach einer Weile mit total verdreckter Kleidung, aber glücklich auf dem richtigen Weg zum Campingplatz wieder. Die Radfahrer, die es eilig hatten, verabschiedeten sich und fuhren schnell weiter.
Die letzte Etappe zum Campingplatz
Wieder allein und schwer bepackt, setzte ich meinen Weg fort in Richtung Basiscamp. Uganda liegt am Äquator und das bedeutet, dass dort die Dämmerungszeit extrem kurz ist. Mit der Gewissheit, dass es bald schlagartig dunkel werden würde, schöpfte ich die letzten Kraftreserven aus meinem Körper und begann, zügiger zu laufen. Die Angst vor der Dunkelheit trieb mich unaufhaltsam weiter. Ich wusste, dass ich bald viel schlechter sehen würde. Hinzu kam, dass die Dämmerung die Zeit ist, in der die Raubkatzen am aktivsten sind und die Wahrscheinlichkeit, ihnen zu begegnen, immer größer wurde. Mit jedem Rascheln im Busch bekam ich einen riesigen Schreck und versuchte krampfhaft, die Ursache des Raschelns zu ergründen, um mich für eine eventuelle Abwehr vorzubereiten.
Das ersehnte Ziel vor den Augen
Tausend Tode bin ich gestorben, bis ich schließlich die rettenden Lichter des Campingplatzes aus der Ferne entdeckte. Völlig ausgepowert und am Ende meiner Kräfte erreichte ich das ersehnte Rastlager, wo ich mit letzter Kraft mein Zelt aufschlug.
Wieder war ein abenteuerlicher Tag vorüber – einschlafen konnte ich jedoch lange nicht, denn die vielen Insektenstiche an meinem ganzen Körper machten die Nacht zu einer qualvollen Tortur.
Ich werde diesen 25 Kilometer langen und beschwerlichen Marsch mit meinem schweren Rucksack nie vergessen.